Dr. Waseem Khan, Großbritannien
Das Konzept der islamischen Ökonomie geht auf den Heiligen Koran und die Sunna zurück. Im Laufe der Zeit wurde es von muslimischen Gelehrten dahingehend angepasst, dass es sich den Veränderungen der sozio-politischen und wirtschaftlichen Umstände angleicht, ohne die
Grundprinzipien zu opfern, die im Heiligen Koran dargelegt und durch den Heiligen Propheten (saw) bestärkt wurden.
Der Heilige Koran bietet einen Rahmen für die Menschheit, lehrt den Menschen seine Verpflichtungen gegenüber Allah und dient als Leitfaden, nach dem die Menschen ihre sozialen und wirtschaftlichen Angelegenheiten richten sollten. Die islamische Ökonomie ist ein vollständiges System, das die Spielregeln für das soziale und wirtschaftliche Verhalten des Einzelnen definiert.
Unter den verschiedenen Prinzipien, die die göttliche Offenbarung zu diesem Zweck darlegt, bilden die folgenden die Grundbausteine der islamischen Ökonomie:
1. Gleichheit & Gerechtigkeit
Der Islam gewährt jedem Einzelnen einige grundlegende sozioökonomische Rechte, wie das Recht auf Zugang zu Produktionsfaktoren – Land, Arbeit und Kapital (wirtschaftliche Gerechtigkeit), das Recht auf Anhörung und Wiedergutmachung von Beschwerden (rechtliche Gerechtigkeit) und das Recht auf Sicherheit, Bildung, Befriedigung der Grundbedürfnisse, Zugang zu öffentlichem Eigentum usw. (soziale Gerechtigkeit). Es obliegt den Machthabern der Zeit, dafür zu sorgen, dass die sozioökonomischen Rechte des Einzelnen respektiert und erfüllt werden.
In Anlehnung an die Tradition des Heiligen Propheten (saw) haben uns der Verheißene Messias (as) und seine Khulafa ständig daran erinnert,
dass Gleichheit, Gerechtigkeit und Fairness die Grundlagen des islamischen Wirtschaftssystems bzw. jedes sozioökonomischen Systems sind und erhalten bleiben müssen, damit dieses System auf lange Sicht durchführbar und nachhaltig ist.
Hazrat Khalifatul Masih V (aba) hat die Staats- und Regierungschefs der Welt bei mehreren Gelegenheiten daran erinnert, dass die Welt niemals in Frieden leben wird, wenn die wirtschaftliche, rechtliche und soziale Gerechtigkeit innerhalb und zwischen den Ländern nicht wiederhergestellt und aufrechterhalten wird. Wirtschaftliche Ungerechtigkeit und soziale Ungerechtigkeit sind seit jeher die Hauptursache für Kriege und menschliche
Zerstörung. Gier und Angst bereiten den Mächtigen Unbehagen, die ihrerseits die Grundrechte der Schwachen unterdrücken, um die Kontrolle zu behalten.
Darüber hinaus sagt Gott der Allmächtige im Heiligen Koran sehr deutlich, dass Er den Menschen die Nichterfüllung ihrer Verpflichtungen Ihm gegenüber (Huqooq-ullah) verzeihen kann, aber Er wird ihnen die Nichterfüllung ihrer Verpflichtungen gegenüber ihren Mitmenschen (Huqooq-ul-Ibaad) nicht verzeihen, welche nur von der/den geschädigten Person/en vergeben werden kann.
2. Eigentumsrechte und Eigentumsbegriff
Als Muslime glauben wir fest daran, dass Gott der Allmächtige der wahre und endgültige Eigentümer allen Eigentums auf diesem Planeten ist und dass der Mensch als Sein Stellvertreter mit diesem Eigentum betraut ist, welches er gemäß Seinen Anweisungen nutzen muss. Somit unterliegt der Besitz von Privateigentum (Land, Waren und Kapital) durch den Menschen der Souveränität Gottes, und der Mensch wird am Tag des Gerichts über seinen Gebrauch Rechenschaft ablegen müssen. Dieser Glaube unterscheidet uns von den beiden anderen gemeinsamen Wirtschaftssystemen, in denen Einzelne entweder direkt als Besitzer allen Privateigentums (Kapitalismus) oder kollektiv als Inhaber allen Eigentums (Sozialismus) betrachtet werden.
3. Zinsverbot
Zinsen, oder Riba, sind definiert als der Überschuss über den verliehenen oder ausgeliehenen Kapitalbetrag. Riba al-nasiah ist der Überschuss, der vom Kreditnehmer/Kreditgeber gegeben/genommen wird, wenn der Kapitalbetrag mit Verzögerung zurückgezahlt wird (Restlaufzeit). Die Restlaufzeit eines Darlehens bezieht sich auf den Zeitraum, für den das Geld ausgeliehen wurde. In konventionellen Wirtschaftssystemen erhalten Kreditgeber Zinsen für die Bereitstellung der Kreditfazilität für einen bestimmten Zeitraum.
Der Islam verbietet Riba in all seinen Formen, da sie auf Ausbeutung der Schwachen, Wucher und die Anhäufung von Reichtum in den Händen einiger weniger hinausläuft und damit die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert.
Der Heilige Koran verbietet strikt die Verwendung von Riba in kommerziellen Transaktionen (Riba wurde in allen offenbarten Religionen verboten, weil sie ausbeuterisch und die Hauptursache für Ungerechtigkeit bei der wirtschaftlichen Verteilung ist, was dann zu schwerwiegenden Auswirkungen auf menschliche Gesellschaften führt). Dieses Verbot ist an zahlreichen Stellen klar formuliert. Zum Beispiel:
„Allah wird den Zins abschaffen und die Mildtätigkeit mehren. Und Allah liebt keinen, der ein hartnäckiger Ungläubiger, ein Erzsünder ist.“ (Surah al-Baqarah, 2:277)
„O die ihr glaubt, fürchtet Allah, und lasset den Rest des Zinses fahren, wenn ihr Gläubige seid. Tut ihr es aber nicht, dann erwartet Krieg von Allah und Seinem Gesandten; und wenn ihr bereut, dann bleibt euch euer Kapital; ihr sollt weder Unrecht tun, noch Unrecht leiden.“ (Surah al-Baqarah, 2:279-280)
„Was immer ihr auf Zinsen verleiht, damit es sich vermehre mit dem Gut der Menschen, es vermehrt sich nicht vor Allah; doch was ihr an Zakât gebt, indem ihr nach Allahs Antlitz verlangt – sie sind es, die vielfache Mehrung empfangen werden.“ (Surah al-Rum, 30:40)
Anlässlich seiner letzten Hajj erklärte der Heilige Prophet (saw) alle noch ausstehenden Riba unter den Muslimen für gestrichen. Im Namen seines Onkels Abbas (ra) annullierte er alle Riba, die ihm von seinen Entleihern geschuldet wurden.
Der Islam verbietet zwar Riba, wodurch eine Art risikofreies Kapital entsteht, bietet den Gläubigen jedoch eine alternative Finanzierungsform, die Vereinbarung über Gewinn- und Verlustbeteiligung, um ihre wirtschaftlichen Transaktionen durchzuführen. Das Konzept der Gewinn- und Verlustbeteiligung, das zu risikobasiertem Kapital führt, wurde erstmals in Medina praktiziert, nachdem der Heilige Prophet (saw) und seine Gefährten aus Mekka eingewandert waren. Zu dieser Zeit wurde die Wirtschaft von Mekka von den Juden dominiert und basierte überwiegend auf Riba. Nach der Ankunft in Medina wies der Heilige Prophet (saw) die einwandernden Muslime an, Landwirtschaft und Handel auf der Grundlage der Gewinn- und Verlustbeteiligung zu betreiben.
Bei der Gewinn- und Verlustbeteiligung wird der Gewinn in einem vorher vereinbarten Verhältnis – 50:50, 40:60 oder 30:70 usw. – geteilt (der Gewinn muss in einem vorher vereinbarten Verhältnis geteilt werden, nicht als Prozentsatz des Gewinns oder als fester Betrag), während der Verlust auf der Grundlage des eingebrachten Kapitals geteilt wird. Zum Beispiel wird bei einem Geschäft, bei dem der Finanzierer das gesamte Kapital bereitstellt, während der Arbeitnehmer/Händler das Geschäft führt, der Gewinn in einem vorher vereinbarten Verhältnis geteilt, aber im Falle eines Verlustes trägt der Finanzierer den gesamten Kapitalverlust, während der Arbeitnehmer/Händler seine gesamte harte Arbeit und Zeit, die er für das Geschäft aufgewendet hat, verliert. Es gibt keine im Voraus festgelegte garantierte Kapitalrendite. Daher müssen Gewinnmitnahmen durch die Teilung des Verlustrisikos legitimiert werden. Die islamische Finanzierungsmethode beseitigt zwar nicht das Verlustrisiko, aber sie verringert die Häufigkeit von Unternehmenskonkursen, da die Wirtschaftsakteure vor der Aufnahme eines Geschäftsvorhabens eine angemessene Kaufprüfung durchführen.
Im Original erschienen unter dem Titel Economic Concepts in Islam in Al Hakam (Onlineversion) am 12. Oktober 2018, übersetzt von Saleh Ahmed